Modellprojekt R11/L2
Selbstverwaltetes Wohnen und Arbeiten in einem Berliner Mietshaus
Unter den historischen Bedingungen des Berliner Ostens und der ökonomischen Situation nach der Wende hat sich auf dem Betriebsgelände des ehemaligen VEB Berliner Glühlampenwerkes Rosa Luxemburg, im Eckhaus Rudolfstraße/Lehmbruckstraße, eine besondere Nutzungsstruktur mit 20 Bewohner*innen und 60 freien Kleingewerbetreibenden entwickelt. Hier wird gemeinsam gelebt und gearbeitet; es existiert ein Gefühl der Verbundenheit mit dem Haus und dem Viertel.
An diesem besonderen Ort verbinden sich Wohnnutzungen mit klein- und kleinstgewerblichen Nutzungen zu einer gewachsenen Struktur, deren abermaliges Entstehen durch die steigenden Mieten im Stadtraum Berlin praktisch ausgeschlossen wäre. Aus dieser Erkenntnis heraus hat sich bereits 2013 der Verein Mietergemeinschaft Rudolf Lehmbruck e.V. mit dem Ziel der Erhaltung und Entwicklung unserer Hausgemeinschaft gegründet.
Dieses Ziel ist jedoch durch die bestehende Übertragungsabsicht des zwischenzeitlich vom Liegenschaftsfonds und jetzt von der BIM verwalteten Objektes an die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) akut bedroht, da sie ausschließlich auf die Schaffung von Wohnraum abzielt. Das Gewerbe ist leicht kündbar; es am Standort zu erhalten ist erklärtermaßen nicht die Absicht.
Während wir die Politik richtig finden, neuen bezahlbaren Mietwohnraum zu schaffen und keine weiteren Wohnungsbestände zu privatisieren, sehen wir doch auch die Notwendigkeit, bezahlbare Gewerbeflächen zu erhalten. In unserem Haus kommt beides zusammen – und verbindet sich zu einer Konstellation, die über sich selbst hinausweist.
Im Eckhaus Rudolf-Lehmbruck wohnen größtenteils Mieter*innen, die auf für sie bezahlbaren Wohnraum angewiesen sind: junge Familien, Alleinerziehende, Arbeiter*innen und Studierende, die teils phasenweise Transferleistungen beziehen. Hier arbeiten verschiedene Klein- und Kleinstgewerbetreibende: bildende, darstellende und angewandte Künstler*innen und Existenzgründer*innen aus kreativen Berufen, aus dem Bildungsbereich, mit sozialem und friedenspolitischem Engagement, sowie Anbieter der psychotherapeutischen Grundversorgung. Zwischen Mieter*innen von Gewerbe- und Wohnflächen bestehen enge Beziehungen; viele von uns sind schon seit langem hier und auf vielerlei Weise mit dem Stadtteil verbunden.
Diese Zusammensetzung ermöglicht bereits jetzt etliche Lebensmodelle, die ohne den ständigen Austausch im gewachsenen Netzwerk nicht denkbar wären. Darüber hinaus birgt sie das Potenzial einer gezielten Weiterentwicklung der Gebäude- und Nutzungsstruktur, die positive Auswirkungen auf die Nachbarschaft und den Bezirk hervorbringt und verstärkt. Es ist jedoch nur zu verwirklichen, wenn die Nutzer*innen diesen Prozess aus ihren lokalen Beziehungen und intimen Kenntnissen der Situation heraus mitgestalten können.
Darum schlagen wir als Mieter*innengemeinschaft vor, das Haus als Modellprojekt einer neuen „Kreuzberger Mischung“ in einem typischen Berliner Mietshaus zu etablieren und weiterzuentwickeln. Um die vielfältigen Formen des Zusammenlebens und -arbeitens im Haus zu erhalten und mit ihnen neue Gestaltungsspielräume zu eröffnen, braucht es eine Trägerschaft, die dieser besonderen Konstellation gerecht wird. Diese Trägerschaft muss durch die Mitbestimmung der Nutzer*innen gekennzeichnet sein. Sie muss ihnen ermöglichen, das Objekt nach ihren Bedürfnissen, auch über einzelne Nutzungseinheiten hinweg, räumlich zu gestalten und zu bewirtschaften. Sie muss zudem die soziale und kulturelle Prägung der Hausgemeinschaft dauerhaft absichern.
Ein derartiges Modell steht dem städtischen Politikziel günstiger stadteigener Wohnungen und Gewerbeflächen für Existenzgründer*innen nicht entgegen, sondern versteht sich als Beitrag zu dessen Realisierung. Wenn gewachsene Strukturen der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens durch einen Zugriff von außen zerstört würden, käme es zu einem bedauernswerten Verlust. Eine sensible Stadtentwicklung nimmt Potenziale auf, anstatt sie zu zerstören.
Wir sehen die besondere, über Jahre gewachsene Nutzungsstruktur unseres Hauses und die daraus entstandenen Synergien als Gelegenheit, neue Formen des Zusammenlebens und ‑arbeitens in der Stadt modellhaft zu erproben. Wir begreifen unser Anliegen darüber hinaus als Teil einer größeren Suchbewegung, in der sich Bürger*innen über alternative Entwicklungswege für die Stadt Berlin Gedanken machen – ein spannender demokratischer Prozess. An ihm teilzunehmen, verspüren wir als Mietergemeinschaft Rudolf Lehmbruck e.V. große Lust und freuen uns auf eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit anderen Akteur*innen der Stadtgesellschaft.